Friday 30 March 2007

Famulaturbericht Tianjin 2006

Bewaffnet mit zehn Visa und einem Koffer voller Vorfreude machten sich Claudia, Anna, Katarina, Kathrin, Lisa, Catherine, Bertram, Guido, Sebastian und ich auf nach China, um die Famulatur unseres Sommers 2006 zu verwirklichen. Dort entdeckten wir eine der wichtigsten Hafenstädte der Welt, ein Gesundheitssystem das mit einer traditionellen Medizin koexistiert, deren Wurzeln im 7. Jhd. v.C. liegen, und ein Land und dessen Leute, die wir sehr lieb gewonnen haben.


Unsere ganze Truppe.

BEWEGT durch Neugier, schaute ich durch das Fenster des Taxis, das uns zur Tianjin Medical University führte. Mein Abenteuer fing zwei Tage vorher in Beijing an, der Stadt mit den größten Gebäuden, die ich je gesehen habe und mit der schwülsten Luft, die ich je geatmet habe. Bis zu diesem Moment hatten eine Vielzahl von Verpflichtungen im Leben eines Medizinstudenten meine Gedanken vereinnahmt. Und obwohl ich ein Flugticket gekauft, mein Visum erhalten und einige Erkundigungen angestellt hatte, wurde mir erst in dem Moment als ich das Flugzeug bestieg klar, dass ich mich tatsächlich auf den Weg nach China befand.

ZU VIEL ARBEIT?

Am 8. August begannen unsere Abenteuer im Krankenhaus. Es war mein erster tatsächlicher Kontakt mit der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), obwohl sie mir durch die Akupunkturvorlesungen der Johannes Gutenberg Universität Mainz und durch die Ausbildung der Deutschen Ärzte Gesellschaft für Akupunktur vertraut war. In den ersten beiden Wochen durfte ich dank meines Grundlagenwissens jeden Morgen die Patienten in einer internistischen Sprechstunde untersuchen. Neben den mir bekannten „westlichen“ Diagnosen, Röntgenaufnahmen, Blut- und Urinuntersuchungen, konnte ich mich nun mit der chinesischen Pathologie vertraut machen, die Puls- und Zungendiagnose üben und verschiedene alltägliche Kräuterrezepturen kennen lernen.

Pulstasten an einem anderen Arzt.

Die restlichen Wochen verbrachten wir vormittags in der Tuina-Abteilung mit Herrn Dr. Huo. Dort konnten wir geeignete Massagen für verschiedenste Beschwerden wie Gelenk- und Rückenschmerzen sowie Gesichtslähmungen sehen und selbst üben. Obwohl wir aufgrund unserer Gruppengröße und der Vielzahl der zu behandelnden Patienten nicht alle verschiedenen manuellen Grundtechniken eingehend erlernen konnten, durften wir nach einer kurzen gemeinsamen Übungsphase unter Beaufsichtigung selbst Patienten behandeln, wodurch wir viele Fortschritte machten.

Die Nachmittage verbrachten wir immer in der Akupunkturabteilung bei Herrn Dr. Zhang. Die Ärztinnen Wang, Deng und Liu übernahmen während unseres Aufenthalts die Aufgabe, die Ausführungen des Doktors für uns zu übersetzen und ihm unsere Fragen zu übermitteln. Mithilfe eines TCM-Buches, welches uns die Universität besorgt hatte, wiederholten wir dort die wichtigsten Akupunkturpunkte, wurden mit ihren chinesischen Namen bekannt gemacht und lernten die Behandlungen einiger häufiger Krankheiten. Im Grunde war die Wiederholung der Meridianpunkte, obwohl es dieses Mal auf Chinesisch war, keine sehr produktive Aufgabe für mich, außerdem kam mir der praktische Teil etwas zu kurz. Trotzdem waren die Einheiten über die diagnostischen Methoden und Akupunkturtechniken sehr interessant. Es war außerdem faszinierend, Dr. Zhangs Nadeltechniken und seine Punktkombinationen für jedes Krankheitsbild und deren Entwicklung über die Wochen zu sehen. Weiterhin konnten wir feststellen, dass der Grossteil der Krankheitsbilder den Indikationen entsprach, die auch für die westlichen Akupunkteure als geeignet betrachtet werden .

Bei der Wiederholung der Akupunkturpunkte.

Die wenigen Abende, die wir in der Apotheke des Krankenhauses verbrachten, genoss ich sehr. Leider war diese Abteilung immer sehr stark besucht und es wurde uns nicht erlaubt, uns dort öfter aufzuhalten. In der Apotheke konnten wir mehr als zweihundert pflanzliche, tierische und mineralische Rezepturkomponenten sehen, riechen und anfassen.

In der Apotheke des Krankenhauses, beim Kräuterwiegen.

Zur Ergänzung organisierte die „International HUA-XIA Medicine Society” einen Ausflug zu einem Pharmaunternehmen, wo wir die verschiedenen Produktionsphasen der Herstellung traditioneller Arzneimittel und ein sehr interessantes Museum über TCM besichtigen konnten.

ZEIT UM SICH ZU AMÜSIEREN

Tianjin ist eine Stadt von zehn Millionen Einwohnern mit den mutigsten Fahrradfahrern, die ich bisher gesehen habe. Trotz all ihrer Nachteile, wie dem Lärm, dem Verkehr, dem Schmutz und der für die Jahreszeit typischen Hitze, bietet diese Stadt alles. Außerdem wäre es in so einer netten Truppe ohnehin schwierig gewesen, sich nicht zu amüsieren – vom olympischen Schwimmbad des Campus, über die Inlineskate-Piste bis hin zum traditionellen Musikunterricht und allen Arten von Musikkonzerten gibt es in Tianjin jede Menge zu entdecken.

Beim Gu-Zheng-Spielen zu Hause.

In den öffentlichen Parks der Stadt, so wie auf den Campus der verschiedenen Universitäten wird vom frühen Morgen an Sport getrieben. Entweder man nutzt einfach eine der angebotenen Möglichkeiten und schließt sich einer Gruppe an, oder man zeigt den lernwilligen Sporttreibenden etwas Neues, wie z.B. Salsatanzen und gründet kurzerhand eine neue Gruppe. Wenn wir doch einmal speziellere Wünsche hatten, konnten wir uns an die Hua-Xia-Gesellschaft wenden, die uns die Möglichkeit des privaten Taiji-Unterrichts bot und einen Raum zum Klavierspielen zeigte.

Die Wochenenden boten uns die einmalige Möglichkeit zu reisen und die umliegende Region, etwa durch einen Ausflug ins nahe gelegene Beijing oder eine 300 km weite Fahrt auf der Suche nach dem Taishan, einem der fünf heiligen Berge Chinas, kennen zu lernen.

KULTURELLES ZUSAMMENLEBEN

Das Büro für internationale Beziehungen der Universität brachte uns in eigenen Apartments für ausländische Studierende unter, wodurch wir die Möglichkeit hatten, Freundschaft mit Studenten aus Indien, Nepal oder Kamerun zu schließen, was aber den Kulturaustausch mit den Chinesen leider nicht förderte.

Trotzdem lernten wir einige ihrer besonderen Eigenschaften kennen. Überrascht hat uns die Fähigkeit der Chinesen, ohne Probleme zu sechst in einem Zimmer zu schlafen oder, dass ihre Charakterzüge besonders mediterran anmuteten. Zum Beispiel geben sie nur selten detaillierte Erklärungen. Meist erachten sie es nicht für relevant jeden Handgriff genau zu erklären und halten es für selbstverständlich, dass man alles auch so verstehen kann. Außerdem kommt es immer wieder zu den verschiedensten organisatorischen Problemen, die zu guter Letzt, auf die eine oder andere Art, alle gelöst werden können – der einzige Ratschlag, den man hier geben kann, ist Geduld zu haben und nicht die gute Laune zu verlieren. Ganz besonders sind die außergewöhnliche Freundlichkeit der Menschen und ihre Bereitschaft, mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen.

Natürlich läuft nicht alles so, wie es das zuhause würde, doch das ist es, was unseren Aufenthalt im Ausland zu etwas besonderem macht. Und mit etwas Toleranz und Offenheit lässt sich die Schönheit der Erlebnisse zwischen so mancher Unannehmlichkeit erkennen und genießen.

FAZIT

Jetzt merke ich, dass die Zeit in China zu kurz war und ich mit mehr Fragen zurück bleibe, als ich zu Beginn hatte, und ein großes Bedürfnis verspüre, wieder hinzufahren. Das Einzige was fehlte, war das Vorbereitungsseminar von Herrn Prof. Dr. Unschuld, welches dieses Jahr leider ausfiel. Außerdem wäre es schön gewesen, in kleineren Gruppen arbeiten zu können, was uns erlaubt hätte, die Zeit besser zu nutzen.

Dieses siebenwöchige Praktikum war in jedem Fall eine großartige und unvergessliche Erfahrung, die ich den Leuten der DCGM (besonders Herrn Dr. Ikinger, Herrn Dr. Scherzler und Frau Niederführ), der „International HUA-XIA Medicine Society”, dem Büro für internationale Beziehungen der Universität Tianjin, sowie meinen Kommilitonen und all den Ärzten sowie dem Pflege- und Verwaltungspersonal des Tianjin General Hospital zu verdanken habe.

An alle meine tiefste Dankbarkeit. 谢谢你们!

Maricruz Gómez Pellín.

Detailinformationen:

Dauer: 4 bis 8 Wochen in den Monaten August und September.

Voraussetzungen: Bewerbung beim DCGM im Frühjahr - Unterlagen einsenden -Auswahlgespräch in Heidelberg im März - und ein bisschen Glück!

Ausstattung: Visum, empfohlene Impfungen für Dein Reiseziel, Deinen Kittel und viel Vorfreude. Außerdem ist es sehr empfehlenswert, ein kleines Souvenirset für Deine Gastgeber und chinesischen Freunde mitzunehmen – darüber freuen sie sich ungeheuer!

Sprache: Mit Deinem Englisch und unter Zuhilfenahme Deiner Hände und Füße kannst du Dich zurechtfinden. Nun gut, irgendwelche Chinesischkenntnisse, so winzig sie auch sein mögen, öffnen Dir viele Türen.

Wasser: Immer gekochtes oder aus der Flasche.

Essen: In der Mensa, in irgendeinem sauber aussehenden Restaurant oder einfach irgendwo, wenn Du ein ich-fürchte-mich-doch-nicht-vor-Durchfall-Mensch bist. Die Vegetarier werden ohne Probleme Essen finden. (Es ist bloß anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, in einem Ölschwimmbad nach dem Gemüse zu fischen). Was Obst angeht, gilt auch hier: Wash it, peel it or leave it!

Übernachten: Im Wohnheim für ausländische Studierende, dessen Wohnungen sogar über Waschmaschine, Mikrowellenherd, Fernseher und Klimaanlage verfügen. Als wir anreisten, mussten wir den Zimmerpreis nochmals mit der Verwaltung der Uni vereinbaren. Dafür und für die Studiengebühren ist das DCGM-DAAD Stipendium ausreichend, abhängig von der Dauer deiner Famulatur.

In Verbindung bleiben: Die Wohnungen verfügen über Festnetztelefon, das wir benutzen konnten, um Anrufe zu bekommen. Vorsicht ist geboten bei chinesischen SIM-Karten: Normalerweise berechnen Euch diese nämlich nicht nur ausgehende, sondern auch kommende Gespräche, unabhängig davon, ob diese aus dem Ausland oder aus China selbst kommen. Nachträglich haben wir jedoch die Existenz von Karten entdeckt, die für Dich kostenlos aus China oder aus dem Ausland eingehende Anrufe ermöglichen, so dass Du nur die Anrufe, die Du mit deinem Telefon selbst tätigst, bezahlst.

Außerdem verfügt die Uni über einen Internetsaal – abhängig vom Tag und vom jeweiligen Computer wird das Internet besser oder schlechter funktionieren.

Reisen: Mit Bus, Taxi, Bahn oder Flugzeug. Dafür wirst Du die Hilfe eines chinesischen Studenten, drei Tage im Voraus gekaufte Zugtickets und viel Geduld benötigen.

Shopping: In Tianjin kann man alles finden, vor allem in den großen Einkaufszentren und im Vergleich zu zuhause sehr günstig (einzigartige Möglichkeit um deine Bibliothek und Cd-Sammlung zu vergrößern :-)). Und wie üblich kann man alle Zeit der Welt zum Verhandeln aufwenden. Doch erreicht Ihr, Du und der Händler einmal einen gemeinsamen Preis, solltest du unbedingt kaufen – anders wäre es eine Beleidigung!! Mit EC-Karte oder Mastercard kann man Geld problemlos bei den Bankautomaten der Bank of China abheben.

Sicherheit: Trotz aller Warnungen vor Diebstahl, und dem ständigen Rat immer gut auf seinen Rucksack aufzupassen, fühlte ich mich im Laufe meiner Reise nie unsicher oder bedroht – außer von den Mücken!

Bücher zum Mitnehmen: Reiseführer mit einer Liste der Übersetzungen der chinesischen Gerichte, Akupunkturatlas mit den chinesischen, englischen und pinyin Bezeichnungen der Leitbahnen und Akupunkturpunkte (oder einfach die Standard-Akupunkturnomenklatur der WHO herunterladen: http://www.wpro.who.int/NR/rdonlyres/8DDB198B-B00B-47AB-9BA1 9337CF49C5A5/0/Standard_Acupuncture_Nomenclature_2nd_ed.pdf) und vielleicht ein medizinisches Wörterbuch (ist aber vor Ort viel günstiger).

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